1. Einleitung

„Ja genau … wir verwenden jetzt auch die neue Norm ISO GPS!“
Die Tatsache, dass ich diesen Unsinn nun schon oft gehört habe, ist ok. Die Tatsache, dass ich es - trotz gebetsmühlenartiger Korrektur - immer wieder höre, nur bedingt. Es mag unter den Schirm der freien Meinungsäußerung passen, doch richtig wird es dadurch auch nicht. Meine Nerven spannen sich aber glücklicherweise nur noch in überschaubarem Rahmen, denn es reiht sich in die Liste der alltäglichen Missverständnisse ein und bekommt langsam aber sicher ein gewisses Maß an Legitimität. Dazu fallen mir spontan die Begriffe Imbus, Homeoffice und Public-Viewing ein. Ich habe allzu oft erlebt, dass Tolerierungen – gerade Form&Lagetoleranzen – nicht nur aus Unkenntnis stiefmütterlich behandelt wurden und werden, sondern in erster Linie mangelnder Motivation geschuldet sind. Wobei auch mir klar ist, dass Passungen leichter zu berechnen sind, als die erlaubte Gestaltabweichung zu definieren. Zur nicht ausgeprägten Motivation kommt auch gerne die fehlende Einsicht der Notwendigkeit. Ich denke, die Erstellung einer widerspruchsfreien Zeichnung ist weniger schmerzhaft, als eine gerichtliche Auseinandersetzung. Denn:

Konstruktionszeichnungen sind rechtsverbindliche Vertragsdokumente!

Wer hat nicht schon oft die folgenden Sätze gehört? "Die Toleranzen? Ja, die habe ich aus der alten Zeichnung!" oder "Man sieht doch auf der Zeichnung, dass es symmetrisch sein soll?" Und wer hat nicht schon selbst erfahren, dass auswärts gefertigte Serienteile nicht zwingend die gleiche Qualität haben wie intern produzierte Parts. Trotz vorheriger Zusagen oder perfekter Erstmuster. Doch egal ob die Fertigung intern oder extern stattfindet, die erstellten Dokumente müssen vollständig und eindeutig gestaltet werden. Das bedeutet, dass Produktspezifikationen funktionsgerecht, fertigungsgerecht und prüfgerecht sein müssen.
Aber zurück zum Anfang, zurück zum Punkt, was ISO GPS denn nun ist. Dazu folgender Merksatz:

ISO GPS ist die Bezeichnung des Regelwerkes zur eindeutigen und widerspruchsfreien Beschreibung technischer Produkte. Es handelt sich um ein ISO - Normensystem, welches Bauteileigenschaften und deren Verifikation spezifiziert.

Möglicherweise stellt sich hier nun die Frage: "Was will er denn jetzt, der Stefan? Es gibt Literatur und zahllose Internetseiten?"
Och ... ich möchte hier einfach nur etwas über Produktspezifikationen plaudern. Ich möchte und kann hier zunächst keine vollumfängliche Ausführung zu ISO GPS präsentieren. Wie erwähnt, gibt es dafür im Printbereich und Online viele andere gute Quellen. Das Rad muss von mir nicht neu erfunden werden. Im Anhang dazu einige Hinweise! Mir geht es hier in erster Linie darum, dem Thema den Schrecken zu nehmen.
Dazu kommt auch, dass sich die Kombination aus HTML, CSS, PHP und ISO GPS hervorragend zum Zweck des Selbststudiums eignet.

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3. Warum tolerieren?

Wir Menschen haben einige Superkräfte. Dazu gehören u.a. komplexe Kommunikation und wir können uns Teile vorstellen, die es noch nicht gibt. Diese beiden Superkräfte haben erheblich Einfluss auf Entstehungsprozesse. Was passiert in der Regel, bevor wir Dinge schaffen? Am Anfang steht die Idee, eine Vision, ein Gedanke im Kopf eines Menschen, hier Konstrukteur:in genannt. Der nächste Schritt ist in der Regel eine Skizze, dann folgen Zeichnungen, Berechnungen und Verifikation der Festigkeit. Anschließend folgt möglicherweise die Fertigung oder auch Korrekturschleifen. Das ist als Hobbybastler an der Werkbank oder mit dem 3D-Drucker recht einfach umzusetzen – Privat. Denn da bin ich Konstrukteur, Fertiger und Qualitätssichernder in einem. Mit etwas Erfahrung kennt man z.B. die Genauigkeit des Druckers. So weiß ich z.B., dass ich für eine Übergangspassung die zu fügenden Teile auf das gleiche Nennmaß drucken muss. Sie lassen sich dann mit einer Schraubzwinge oder zwischen den Backen des Schraubstocks locker fügen.
Wie schaut es in der Industrie aus? Für gewöhnlich sind diese Rollen nicht auf die gleiche Person vereint. Möchte der Konstrukteur seine Gedanken in ein reales Produkt umwandeln, muss er in der Lage sein, den beauftragten Mitarbeitern oder Firmen glasklar darzulegen, was er möchte. Glasklar bedeutet hier mal wieder eindeutig und vollständig. Juristisch sattelfest würde der Volksmund sagen. Es ist nahezu unmöglich Bauteile auf Nennmaß zu fertigen. Es gibt verschiedenartige Einflüsse, die die Genauigkeiten beeinflussen. In der Regel ist der Maschinenbediener für Maßabweichungen verantwortlich und die Maschine für Gestaltabweichungen. Bei abweichenden Maßen hat es der Bediener in der Hand z.B. im CNC-Programm korrigierend einzugreifen. Die Korrektur eines unrund laufenden Drehbankfutters gestaltet sich für den Bediener hingegen schwierig bis unmöglich. In der Praxis stellt man oft fest, dass die Teile intern immer passten. Werden Teil mit den gleichen Zeichnungen extern beauftragt, dann passen sie nicht. Das passiert nicht, wenn die Zeichnungen absolut vollständig und widerspruchsfrei sind - wenn sie keinen Raum für Interpretationen geben. Nach DIN 14404 kann ein Interpretationsspielraum zur Abnahmeverpflichtung von fehlerhaften Bauteilen führen. Ich persönlich sehe auch nicht so viel Handlungsspielraum bei Toleranzen. Sollten Entwickler: innen die Toleranzen funktionsgerecht festgelegt und nicht aus alten Zeichnungen übernommen haben oder versucht haben, mit eigeengten Toleranzen auf Nummer sicher zu gehen, so ist die Basis für Verhandlungen ehr klein bis überhaupt nicht vorhanden. Doch wie immer gilt auch hier, dass keine Regel ohne Ausnahme auskommt. So dürfen z.B. nach ISO 16742 Kunststoffteile-Formteile mit abweichenden Allgemeintoleranzen nicht per se abgelehnt werden, wenn die Funktion nicht beeinträchtigt ist. So wurde mir mal die Fertigung eines Bauteils gemäß den Dokumenten zugesagt, um mit der Lieferung der ersten Muster den Toleranz-Bazar zu eröffnen. Es lag mir bei den meisten Toleranzen fern, diese entsprechend den Möglichkeiten des Lieferanten anzupassen. Nicht die Möglichkeiten des Lieferanten sind für mein Bauteil entscheidend, sondern die festgelegten, abgestimmten und vor Auftragsvergabe zugesicherten Produktspezifikationen. Die Bemerkung, dass man sich ja auf Gauß (Glockenkurve) verlassen könne, halte ich für sehr hemdsärmlich und teils auch für ausgesprochen fahrlässig. Während eines Workshops für Form und Lagetoleranzen sagte der Referent, dass es in seiner Zeit als Lohnfertiger immer ein Geschenk war, Aufträge mit unvollständigen Dokumenten zu bekommen. Nicht, dass er die Aufträge fahrlässiger bearbeitet hätte, da er natürlich auch ein sehr hohes Maß an Maschinenbauer-Ehre besaß. Doch wurden Dinge beanstandet, die nicht exakt dokumentiert waren, so erzeugte das keine Schweißausbrüche. Er wusste, dass er juristisch auf der sicheren Seite war.
Trotz meiner erscheinenden Strenge, liegt es natürlich in beiderseitigem Interesse ein gutes Geschäftsverhältnis zu pflegen und eine gemeinsame Lösung zu erarbeiten, anstatt eine gerichtliche Auseinandersetzung zu riskieren. Und hier kommt die Superkraft der Kommunikation zum Tragen, denn:

Wer spricht, dem wird geholfen!


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3. Normen

Man kann ja grundsätzlich alles auf die Zeichnung schreiben, was man möchte und es dann mit dem beauftragten Fertiger zweifelsfrei klären und vertraglich abdichten. Wie einer meiner Kollegen gerne sagte und auch handhabte: „Vermerk es doch in Prosa!“ Ja, kann man machen, doch möchte man bei einem Lieferantenwechsel jedes Mal die Zeichnung anpassen? Gerade, wenn neue Lieferanten im Ausland ansässig sind, so ist eine internationale Sprache unabdingbar. Kann trotzdem nicht auf Text verzichtet werden, ist die Verkehrssprache in der Regel Englisch. Auch hier muss es dann auch aber auch sitzen. Im Rahmen einer Zeichnungsprüfung ist mir mal die Verwechslung print/pressure begegnet. Auf die Korrektur wurde aber verzichtet, weil es in der vorherigen Zeichnung doch auch schon so steht und man möchte ja auch niemanden irritieren. Außerdem hat man ja auch keine Zeit. Gelegentlich kommt einem da aber auch das Wissen um die Fehler und Verwechslungen jeweiliger Nation zu gute. So wie Gottfried Heinrich seine Pappenheimer kannte, so kennt der Engländer in der Regel die seltsamen Auswüchse des Denglischen. Mancher Kellner in England weiß schon, was der deutsche mit „I become a beefsteak“ ausdrücken möchte. Aber darauf kann ich mich im Zweifel weder verlassen, noch berufen. Die logische Folge ist die Einigung auf eine gemeinsame Sprache und da helfen die Normen. Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei ISO-GPS nicht um eine Norm, sondern um ein Normen-System. Und dieses System besteht aus unterschiedlichen Normen, die hierarchisch geordnet werden können. Analog zur Ernährungspyramide, kann die Hierarchie in einem Dreieck dargestellt werden:

Folgend eine erste, kleine Übersicht, der gängigsten Normen

DIN EN ISO 8015
Die 8015 bildet das Fundament der Geometrischen Produktspezifikation. Sie beeinflusst und regelt die Anwendung sämtlicher Normen, die Teil des GPS-Systems sind.

  • Grundlagen
  • Konzepte
  • Prinzipien
  • Regeln

ISO 14638
Diese Norm steht auch ganz oben in der Pyramide, ist somit Teil der fundamentalen Normen und erläutert das Konzept der geometrischen Produktspezifikation.

EN ISO 14405-1
Geometrische Produktspezifikation (GPS) — Dimensionelle Tolerierung — Teil 1: Längenmaße

ISO 286-1
Grundlagen für Toleranzen, Maße und Passungen

ISO 286-2
Tabellen der Grundtoleranzgrade und Grenzmaße für Bohrungen und Wellen.

DIN EN ISO 1101
Geometrische Produktspezifikation (GPS) — Geometrische Tolerierung — Tolerierung von Form, Richtung, Ort und Lauf.

DIN EN ISO 22081 und DIN 2769
Allgemeintoleranzen. Ersetzen in Kombination die Norm ISO 2768-2.

DIN EN ISO 2692
Geometrische Produktspezifikation (GPS) — Form- und Lagetolerierung — Maximum-Material-Bedingung (MMR), Minimum-Material-Bedingung (LMR) und Reziprozitätsbedingung (RPR).

Normen mögen mühsam erscheinen, doch wer schon einmal Patentschriften gelesen hat, weiß, dass Normen eigentlich halb so wild sind. Normen helfen bei der lückenlosen Kommunikation. In Patentschriften liest man Ideen anderer – "codiert" in Schachtelsätzen – die man eh nicht nachmachen darf.

to be continued ...


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4. Prinzipien und Tolerierungsgrundsatz

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6. Form- und Lagetoleranzen

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6. Anhang

Literaturempfehlungen
  • Jordan, Schütte. 2020. Form- und Lagetoleranzen. München : Carl Hanser, 2020. ISBN 978-3-7585-1021-2
  • Tschudi, Läpple(HRSG). 2021. Grundlagen der geometrischen Tolerierung. Stuttgart : Steinbeis-Edition, 2021. ISBN 978-3-95663-224-2
  • Brabec, Reißler, Stenzel. 2023. ISO GPS - Einführung in die Geometrische Produktspezifikation. Haan Gruiten : Europa-Lehrmittel, 2023. ISBN 978-3-7585-1373-2
Videoempfehlungen

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